Manchmal gibt es so Tage und Wochen, die an einem vorbeirauschen. Vollgepackt mit Aufgaben, Erlebnissen und Veranstaltungen. Wochen, die einen am Ende eines jeden Tages müde in die Kissen sinken lassen. Die letzte Woche war genau solch eine vollgepackte, in der ich ungemein viel zu tun hatte, meine beiden Mädels nicht ganz fit waren und dann auch noch die Fashion Week die Zelte in Berlin aufschlug. Abseits des richtigen großen Trubels nahm ich die SEEK unter die Lupe und lag damit goldrichtig.
Auf fast 6.500 Quadratmetern zeigten 220 internationale Labels ihre Kollektionshighlights für Herbst/Winter 2015/2016. Fast ausnahmslos Menswear wurde im ehemaligen Treptower Omnibus-Depot präsentiert, darunter eben auch einige grüne Menswear Labels, die ich mir für Grüne Mode ansehen wollte. Gesagt, getan. Mit meinem frisch gebackenen „Assistenten“ Rapha zog ich demnach von Stand zu Stand und bemerkte schnell, dass fast alle Labels, mit deren Gründern und Designern ich sprechen konnte, auf Recycling setzen.
»Zeitgeist beyond trends«
Erster Stopp: die französische Sneaker-Marke VEJA, die ihr von meinen Reviews und Outfits ja bereits kennt. Dank Melina bekam ich die Gelegenheit, die neue Highlights aus den kommenden Kollektionen von Mitbegründer Sébastien Kopp vorgestellt zu bekommen. Beeindruckt haben mich vor allem drei Re- und Upcycling-Ideen, die es so im Modebereich noch nicht gab. Tilapia dürfte euch wie mir erst einmal nichts sagen. Der Buntbarsch ist der beliebteste und meist verzehrte Fisch in Brasilien und hat bis auf seine schimmernden Schuppen selbst kein modisches Selbstverständnis. VEJA nutzte die Gelegenheit, an die Haut des Tilapia zu gelangen und aus diesem Abfallprodukt ein eigenes Obermaterial herstellen zu lassen, welches geruchsneutral ist und pflanzlich gegerbt wird. Die Optik ist sicherlich einzigartig wie jedes Modell, welches aus bis zu 9 Fischhäuten besteht und eine unregelmäßige Struktur hat. Eine nur auf den ersten Blick durchgeknallte Idee, die Sébastien Kopp und sein Mitbegründer Ghislain Morillion zur Marktreife entwickelt haben.
Auch das zweite Highlight hat mit Wiederverwertung zu tun, ist aber eher dem Upcycling zuzuordnen: VEJA verwendet aus alten Armeebeständen noch gut erhaltene Stoffe von Jacken und Hosen und verarbeitet diese in der Produktion zu einem Camouflage-Obermaterial. Last but not least beschreiten auch VEJA einen immer populärer werdenden Weg in der nachhaltigen Modeszene. Für einen Teil ihrer Kollektion entwickelten sie aus recycelten Plastikflaschen ein wabenartiges Upper für unterschiedliche Modelle, die kaum einen Unterschied zur konventionellen Konkurrenz von NIKE oder Adidas erkennen lassen. Nur mit dem signifikanten Alleinstellungsmerkmal, dass das Obermaterial aus 100 Prozent wiederverwertetem Plastik besteht – zu gleichen Verkaufspreisen bei deutlich höheren Produktionskosten. Eine gute Prise Idealismus gepaart mit Geschäftssinn zog nach diesem Gespräch mit Sèbastian durch die große Halle und ich fühlte mich erneut darin bestärkt, dass VEJA tatsächlich eine ernst zunehmende und vor allem modische Sneakerbrand ist, die sich vor keinem großen Player verstecken muss.
Zweiter Stopp auf meiner Runde, die sich danach als wirkliche „Recycling“-Erfahrung entpuppte, war Ecoalf. Okay, ich gebe zu: Ich interessierte mich in erster Linie wegen des Namens für das Label. Doch im Gespräch mit Gründer Javier Goyeneche stellte sich schnell heraus, dass er nicht nur einen guten Namen für sein Label wählte, sondern auch eine großartige Idee verfolgte.
»Aus 20 Tonnen Plastikmüll etwas Neues entstehen lassen«
Ecoalf konzentriert sich auf die Produktion von Taschen und Jacken aus Plastikmüll. Hierbei spielen die bereits bei VEJA angesprochenen PET-Flaschen eine große Rolle. An der spanischen Küste etwa hat Ecoalf eine Kooperation mit knapp 400 Fischern geschlossen, die bei einem normalen Fang jeweils 3 Kilo Müll mit an Land bringen. 1,2 Tonnen Müll pro Tag! Natürlich ist das nicht ausschließlich Plastikmüll, doch Javier Goyeneche kann mit dem, was an unterschiedlichen Kunststoffen gesammelt wurde trotzdem gut (ver)arbeiten. So werden knapp 20 Tonnen Plastik pro Material dann zu Daunenjacken ohne Daunen, einem Trenchcoat aus zusätzlich wiederverwerteten Bestandteilen von Fischernetzen oder einer Funktionsjacke aus zusätzlich 44 Tassen Kaffee.
Dritter und für heute der vorerst letzte Stopp machten Rapha und ich bei Uniforms for the Dedicated. Einem Label, dessen Kollektion sehr im Trend des urbanen Hipsters liegt. Einem Label, dass auf dem Sprung ist, sich mehr und mehr der Nachhaltigkeit im Unternehmen und im Einkauf der Materialien verschreibt. Einem Label, dass interessante Ansätze verfolgt und noch nicht am Ende einer grünen Transformation ist.
Die ersten Antworten von Managing Director Lars Johan Hedberg ließen mich erst einmal stutzen. Eine vollständige Nachhaltigkeit in der Mode sei nicht möglich, so realistisch möge man schon sein, meinte Lars. Glücklicherweise wurde er im Gespräch immer sympathischer, da er relativ ehrlich die Schritte des Labels erklärte und nachvollziehbar machte, wie schwierig es für ein Label ist, dessen Ziel es ist, gehobene Menswear zu noch leistbaren Preisen zu produzieren. Mehr und mehr verwendet Uniforms for the Dedicated zertifizierte Materialien für ihre Jacken, Hemden und Hosen (ich selbst habe ein GOTS-zertifiziertes T-Shirt in meinem Schrank hängen). Gleichzeitig setzen sie vor allem auf die Wiederverwertung von Wolle und Wollabfällen.
»Leihen statt Kaufen – und mit der Einkaufstasche Gutes tun«
Plus, und das finde ich wirklich charmant, ermöglichen sie jedem Mann, den Anzug seiner Wahl lediglich zu leihen. Für besondere Anlässe oder das wichtige Bewerbungsgespräch. Eine Art Kurzzeitleasing für den Mann mit gehobenem Anspruch. Gerade bei den Anzügen gibt es noch großen Spielraum für Verbesserungen. Clever ist das Team dennoch, denn jeder Anzug wird in der Rag Bag zugestellt. Die Einkaufstasche wird zur Versandtasche, das neue Kleidungsstück (oder der geliehene Anzug) weicht einem alten Kleidungsstück aus dem eigenen Schrank, welches gespendet oder verschenkt werden soll. Das ist charmant, aber vor allem eine sinnvolle Wiederverwertung der zumeist wieder aus Plastik bestehenden Einkaufstaschen.
Wer jetzt nach all der Wiederverwertung Lust auf noch mehr Mode hat, die aber aus ganz neuen Materialien besteht, den vertröste ich auf morgen. In meinem Rückblick auf die SEEK Autumn/Winter 2015/16 – Teil II werde ich euch nicht nur die neue Designlinie von ekn Footwear zeigen, sondern auch die neuesten Taschen von QWSTION und die Geschichte dahinter vorstellen sowie einen Blick auf das wunderbare schwedische Schuhlabel KAVAT werfen, die mit Kinderschuhen anfingen und mittlerweile robuste Boots für die ganze Familie auf den Markt bringen. Während der Wartezeit verschwinde ich einmal schnell in der Umkleide – bis morgen!
Text: Alf-Tobias Zahn
Fotos: Alf-Tobias Zahn / Renato Silva / SEEK Berlin