Wie gelingt das eigentlich, einen Unterschied auszumachen? Sich für etwas einzusetzen, was uns alle betrifft? Sich einer Idee zu verschreiben, die Besserung bringen soll? Im Interview mit Ali Azimi, Initiator der NRO Drip by Drip und Mitgründer des dazugehörigen Modelebals BlueBen sprechen wir über die Herausforderungen, die verfahrere Situation in unserer Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft zu ändern und dabei immer und immer wieder auf Missstände aufmerksam zu machen, die viele von uns gar nicht wahrnehmen – weil sie zu klein oder zu weit weg von unserem eigenen Alltag sind oder einfach als unbedeutend wahrgenommen werden. Wie zum Beispiel der immense Wasserverbrauch der Textilindustrie, die wir selber täglich / wöchentlich / monatlich füttern.
Lieber Ali, du bist Gründer des Labels BlueBen und der NRO Drip by Drip. Ihr widmet euch vor allem dem Thema Wasserverbrauch in der Textilindustrie. Wie kam es zu der Auseinandersetzung mit dieser Thematik?
Es war ziemlich banal. Ich hatte den Film The True Cost gesehen und war schockiert über den Wasserverbrauch und den intensiven Pestizideinsatz bei Baumwolle. Daraufhin habe ich vier Monate lang recherchiert und mich mit dem Thema Wasser und Textil auseinandergesetzt. Das Thema wird immer wichtiger wie man aktuell an Kapstadt oder Indien sieht. Auch der Film RiverBlue, der erst vor kurzem erschienen ist, befasst sich damit.
Vor einigen Jahren habe ich mich mit einigen Freunden und dem Designmob ebenfalls dem Thema gewidmet und haben festgestellt, wie schwer es ist, das Problem mit virtuellem Wasser in Textilien anderen Menschen näher zu bringen. Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?
Bevor Blue Ben und Drip by Drip entstanden sind, habe ich eine Mini Crowdfunding Kampagne initiiert, mit der ich Geld für Wasserprojekte sammeln wollte. Die Kampagne hieß CHOOSE WATER NOT COTTON. Es war extrem schwer, dafür die nötigen Spenden zu bekommen. Das Thema ist einfach sehr weit weg. Wir haben hier in Mitteleuropa keine Probleme mit zu wenig oder verunreinigtem Wasser, jedenfalls noch nicht. Ich habe mich dann gefragt, woran das liegt und wie man es besser machen kann. So entstand Blue Ben und daraus Drip by Drip.
Weshalb habt ihr euch dafür entschieden, mit BlueBen ein eigenes Modelabel zu gründen, um auf das Thema aufmerksam zu machen?
Das Label ist ein sehr effektives Tool, um Menschen aufmerksam zu machen und gleichzeitig eine Alternative zu bieten. Ich habe mich oft gefragt, ob die Lösung noch ein weiteres Label ist. Aber jetzt sehe ich, dass es die richtige Entscheidung war. Sonst würden wir beide heute nicht sprechen und das wäre sehr schade. Darüber hinaus wollten wir uns radikal von anderen Labels absetzen. Das ist uns alleine durch den Verzicht auf BIO-Baumwolle bereits gelungen.
Aktuell kann euer erstes Kleidungsstück bei Startnext finanziert werden. Kannst du uns zu #Natural und #Bold mehr erzählen?
#Natural, #Bold und #Limited sind unsere drei Farbkategorien. Die #Natural Sweater zeichnen sich durch hellere Farben aus. Aktuell gibt es sie in GULL GREY. Weitere Farben werden aber folgen. Diese helleren Farben benötigen weniger Wasser als die Sweater unserer #BOLD Edition. Die zeichnen sich durch satte Farben aus und haben das Etikett außen am Arm statt innen wie beim #Natural. Wir wollten den Menschen Möglichkeiten geben zu wählen, da wir ja nur mit einem Produkt starten. Unsere #Limited Editions, die aktuelle und alle, die noch folgen werden, werden speziell von Designern kreiert und angefertigt und sind durch einen sehr auffälligen Druck oder Illustration gekennzeichnet.
Statt Baumwolle verwendet ihr eine Mischung aus Modal und Hanf – wie seid ihr auf diesen Materialmix gekommen?
Wenn man nein zu Baumwolle sagt, nein zu Plastik und komplett in Europa bleiben möchte, bleibt da nicht mehr viel. Hanf, Leinen, Modal und Viskose sind aktuell die einzigen Alternativen. Beide Fasern haben hervorragende Eigenschaften, die in Kombination Baumwolle und Polyester bei weitem überlegen sind. Wir arbeiten aber noch an weiteren Stoffen wie den weltweit ersten 100% Modal French Terry. Alle Rohstoffe die wir nutzen, wachsen in Europa, brauchen keine Pestizide, werden nicht künstlich bewässert und haben so den niedrigsten ökologischen Fußabdruck. Vor allem aber wollten wir den Wasserfußabdruck senken und das ist uns gelungen. Statt 3.500 L benötigen wir nur noch 360 L Wasser für unseren Sweater.
Ist der Sweater auch unter fairen und sozialen Bedingungen hergestellt worden?
Wir bleiben vom Rohstoff bis zur Konfektionierung in Europa, in Österreich, Frankreich und Portugal um ganz genau zu sein. Durch die Produktion in unserer “Nähe”, können wir die Einhaltung von Sozial- und Arbeitsstandards am ehesten nachvollziehen und regelmäßig überprüfen. Darüber hinaus erfüllt Portugal als Mitglied der EU die Mindeststandards der ILO von Hause aus. Deshalb verzichten wir auch auf die Nutzung von Siegeln.
Wie überprüft ihr die Einhaltung der Sozial- und Arbeitsstandards konkret?
Wir haben im Februar alle unsere Produktionspartner in Portugal besucht und uns die Fabriken und Arbeitsabläufe zeigen lassen. Unsere Partner haben sich durch verschiedene Siegel zertifizieren lassen und sind gesetzlich durch portugiesisches Recht zur Einhaltung der ILO-Mindeststandards verpflichtet. Anders als die Fabriken in den meisten asiatischen Produktionsländern. Darüber hinaus planen wir aber auch regelmäßige Besuche unserer Fabriken, um den Kontakt zu unseren dortigen Partnern zu intensivieren, um die Herstellung weiterer neuer Stoffe möglichst nahe begleiten zu können und um noch mehr Verständnis für die Produktionsabläufe und die Möglichkeiten weiterer Wasserersparnis zu entwickeln.
Noch ein Vorteil ist, dass unser Team für die Produktion direkt in Porto ansässig ist und mindestens einmal im Monat bei allen Partnern vorbeischaut. In diesem Zuge werden wir natürlich auch einen Blick auf die Arbeitsbedingungen vor Ort haben. Allgemein verbindet uns aber ein starkes Vertrauensverhältnis mit unseren Partnern, die augenscheinlich mit den neuesten Technologien und höchsten Standards arbeiten.
Ich persönlich plane für die Zukunft eine Reise mit ausgewählten Bloggern, die sich alle Schritte in Ruhe angucken und kritische Fragen stellen können.
Im Interview mit Viertel / Vor hast du eine mögliche Lösung für die Wasserknappheit in bestimmten Ländern skizziert: „Eine Lösung kann sein, mit der Mode-Produktion generell nicht mehr in Länder zu gehen, wo das Wasser knapp ist und als Trinkwasser und für den Lebensmittelanbau dringender gebraucht wird als für alles andere. Wir müssen eigentlich jede Fashion-Produktion in Länder verlegen, die genug Wasser haben.“ In Ländern wie Bangladesch, das du selbst besucht hast, ist die Textilindustrie aber wichtigster Industriezweig. Greift da die skizzierte Lösung nicht zu kurz?
Warum ist das so? Das sollten wir uns ernsthaft fragen. Bangladesch ist regelrecht abhängig von unserem Textilkonsum. 5 Millionen Menschen arbeiten in dieser Industrie davon über 70% unter unwürdigen Bedingungen.
Wir können weder die Politik noch die Industrie in diesen Ländern kontrollieren. Warum sollten wir dann weiterhin dort bleiben? Diese Abhängigkeit und unser Bedürfnis nach möglichst billiger Ware, führt immer mehr zu Lohndumping und ökologischen Katastrophen. Und das alles auf Kosten der dort lebenden Menschen.
Aber auch wir spüren bereits die Konsequenzen. Je mehr die Umwelt dort verschmutzt wird und der Klimawandel die Lebensgrundlagen zerstört, desto mehr Menschen müssen zu uns kommen. Wo sonst sollen sie hin? Die Lösung kann sicherlich nicht sei, dort von heute auf morgen alles stehen und liegen zu lassen, nachdem wir diese Länder erst in Abhängigkeit von unserem Konsum gebracht haben. Aber noch mehr Produktion dorthin zu verlagern halten wir für falsch.
Der niedrige Preis als einziges Kriterium – alles andere ist nebensächlich
Seien wir doch mal ehrlich. Der einzige Grund für uns in diesen Ländern zu produzieren ist doch der niedrige Preis. Alles andere ist nebensächlich. Jedes Produkt, das wir importieren, könnten wir auch in Europa herstellen aber eben zu einem deutlich höheren Preis. Darüber hinaus ist aufgrund der Bevölkerungszahlen der Textilbedarf Asiens (4,436 Mrd. Menschen) viel größer als der Europas (743,1 Mio. Menschen). Die Notwendigkeit für das produzierende Gewerbe und die daran hängenden Arbeitsplätze bleibt also auch ohne uns bestehen.
Deshalb bleiben wir hier und zahlen Reparationen an diese Länder, als eine Art Ausgleich zu den niedrigen Preisen und um die Aufbereitung des, durch die Textilindustrie, verschmutzten Wassers zu ermöglichen.
Wie kann ich mir die Reparationen vorstellen? Unterstützt ihr bestimmte Projekte in den jeweiligen Ländern?
Wir möchten uns mit der Produktion in Europa nicht vor unserer Verantwortung als Konsumenten von Fast Fashion drücken, denn auch wir haben in unserem Leben Kleidung made in Bangladesch gekauft. Damit tragen auch wir Verantwortung für die Wasserverschmutzung, unter der dort immer mehr Menschen ernsthaft zu leiden haben. Deshalb zahlen wir Reparationen, also Entschädigungsleistungen, an diese Länder. Jedes Kleidungsstück von Blue Ben wird einem Land gewidmet. Made IN Europa, FOR Indien…Kenia…usw. Wir beginnen mit Bangladesch. Unsere neu gegründete NRO Drip by Drip wird diese Zahlungen verwalten und an lokale Partner in den entsprechenden Ländern weiter reichen und nachvollziehen, wofür das Geld verwendet wurde. Bei der Entscheidung, wohin genau die Zahlungen fließen, vertrauen wir auf die Expertise der lokalen Partner, die ihr Land und die Bedürfnisse der Bevölkerung besser kennen als wir. Dennoch müssen diese Partner gefunden werden und es muss ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, damit wir nachvollziehen können, ob die Reparationen den Zweck der Wasseraufbereitung erfüllen. Deshalb die Gründung von Drip by Drip.
Welcher Moment auf deiner Reise zu eigener NRO und Label war für dich der prägendste Moment?
Als ich realisiert habe mit was für wunderbaren und talentierten Menschen ich arbeiten darf. Ich habe schon sehr oft Projekte umgesetzt aber dieses Mal fühlt es sich anders an. Es ist wirklich was ganz besonderes und ich bin sehr dankbar für diese Möglichkeit.
Zu guter Letzt: Hast du einen Lieblingsort und wenn ja, warum ist dieser besonders?
Ich kann dir sagen wo ich mich sehr wohl fühle aber einen Lieblingsort habe ich nicht. Überall dort wo Menschen zusammenkommen und gemeinsam lachen und Freude empfinden. Dort fühle ich mich am wohlsten. Das kann bei meiner Familie sein, bei Freunden, in Portugal beim Surfen, mit unserem Team oder in Bangladesch.
Wer Ali und sein Team von Drip by Drip auf der BlueBen-Mission begleiten und unterstützen möchte, kann dies noch bis zum 20. April auf STARTNEXT machen.
Interview: Alf-Tobias Zahn
Fotos: Benedikt Fuhrmann, Jan Nellisson, Drip by Drip e.V.