„Die kreative Zeit ist für mich keine Arbeit, sondern einfach nur Sein“ – Caroline Raffauf im Interview

Wie viel Ausdauer und wie viel Herzblut muss man für eine Sache haben, wenn man sie 30 Jahre lang betreibt? Wenn man sie gegen Widerstände durchsetzt, Hürden überwindet, echte Pionierarbeit leistet. Caroline Raffauf ist eine Unternehmerin, die genau dies getan hat: Aus Überzeugung auf Slow Fashion gesetzt, die in den Anfängen von RAFFAUF noch gar nicht so hieß. Caroline hat Grenzen verschoben und tolle Outdoor Mode entwickelt, die die richtigen innere Werte hat und eben nicht dem Klischee von Öko-Mode entspricht. Im Gespräch spreche ich mit ihr über die Anfänge des Labels, ihre Lieblingsmaterialien, die brandneue Kollektion und Self-Care in Zeiten der Pandemie.


Caroline Raffauf setzt von Anbeginn ihres Labels auf Nachhaltigkeit

Caroline, du bist seit über 30 Jahren in der Slow Fashion aktiv. Als du dein Label RAFFAUF gegründet hast, gab es diesen Begriff aber noch gar nicht. Was hat dich damals bewegt, dein eigenes Label zu gründen?

Ich habe erst in Nizza Kostümdesign und später in Paris Modedesign studiert. In beiden Fällen lag der Fokus ausschließlich auf dem Design, Nachhaltigkeit spielte keine Rolle. Als ich dann nach dem Studium meine erste eigene Kollektion entworfen und mich mit der Lieferkette auseinandergesetzt habe, wurde schnell offensichtlich, dass giftige Chemikalien und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie an der Tagesordnung sind. Ab da war mir klar, dass ich von dieser Branche, so wie sie war, kein Teil sein wollte. Ich habe dann durch Learning by Doing meine Leidenschaft für Mode mit der für Nachhaltigkeit verbunden, Stofflieferant*innen zur Produktion schadstofffreier Materialien überredet und Einkäufer*innen überzeugt, meine Kollektion zu kaufen. Das war damals nur mit eigener Marke möglich, für etablierte Labels war Nachhaltigkeit uninteressante Zukunftsmusik.

Wie schwer war es, diese Überzeugungsarbeit zu leisten?

Anfangs hat sich das angefühlt wie ein Kampf gegen Windmühlen, ich muss damals hunderte Gespräche geführt haben. Von Lieferant*innen bekam ich häufig zu hören, sie hätten doch Naturfasern im Sortiment, das sei doch öko. Da musste ich häufig erklären, dass nicht alles, das nach Natur aussieht, auch natürlich ist. Auch Naturfasern werden häufig mit Schadstoffen behandelt, zum Beispiel um sicherzustellen, dass der Stoff nicht einläuft. Und eine chemische Behandlung ist leider häufig kostengünstiger, damals wie heute. Außerdem benötigen Lieferant*innen Mindestmengen, damit sich die Produktion lohnt, von anderen Marken hatten sie damals keine Nachfrage nach nachhaltigen Stoffen. 

Irgendwann hatte ich Lieferant*innen an Bord, die mit mir neue Weg gehen wollten, und stand mit meiner nachhaltigen Kollektion skeptischen Einkäufer*innen gegenüber, die nicht wussten, ob sie die Kleidung an ihre Kund*innen weiterverkaufen können. Niemand wollte sich als erstes an nachhaltige Mode wagen, aber nachdem die ersten großen Modehäuser überzeugt waren, sind viele weitere gefolgt. Bald wurde die „Öko-Optik“ dann auch zur Modeströmung, also unter anderem Naturfarben und ungefärbte Stoffe, wie man das heute auch wieder viel sieht. Durch den Trend wurde Nachhaltigkeit in der Mode erst einmal breiter angenommen, später wollte dann aber wieder niemand mehr davon wissen. Da gab es dann auch Zeiten, in denen ich meine Kollektion ausschließlich unter dem modischen Aspekt vermarktet und die nachhaltige Produktion verschwiegen habe.

Du hast Nachhaltigkeit von Anfang an mitgedacht. Auf welche Facetten kommt es dir dabei besonders an?

Mein Fokus lag von Anfang an immer auf den Materialien. Schon bevor ich mich für Nachhaltigkeit interessiert habe, wollte ich immer mit spannenden Materialien arbeiten, die es so noch nicht gibt. Daher war das für mich der logische Startpunkt. Anfangs habe ich also biologische Naturfasern ohne Giftstoffe verwendet, damals noch ungefärbt und nur mechanisch behandelt. Heute stehen Stoffe und Imprägnierungen für mich immer noch an oberster Stelle. 

Das liegt auch daran, dass mir die Entwicklung viel Spaß macht. Wir haben schon seit Jahren eine eigens entwickelte Bienenwachsbeschichtung im Sortiment, gerade ist eine neue Imprägnierung aus Getreideabfällen hinzugekommen. Und damit sind wir auch schon bei einem weiteren wichtigen Punkt angekommen: Die Modebranche produziert unendlich viel Müll. Deswegen ist mir besonders wichtig, Müll durch Upcycling wiederverwertbar zu machen. Wir setzen daher ausschließlich Naturfasern oder recycelte synthetische Fasern ein. 

Außerdem sind mir faire Arbeitsbedingungen und kurze Transportwege wichtig. Bio-Baumwolle, die am anderen Ende der Welt unter fragwürdigen Bedingungen geerntet und dann nach Europa geschifft wird, ist wenig nachhaltig, leider aber häufig zu finden, da europäische Rohmaterialien deutlich teurer sind.

Mit welchen Materialien arbeitet ihr vornehmlich und auf welche Zertifikate achtet ihr in diesem Zusammenhang?

Mischmaterialien sind leider am Ende des Produktlebenszyklus‘ nur schwer wieder voneinander trennbar und landen daher häufig einfach auf dem Müll anstatt recycelt zu werden. Wir verwenden daher bevorzugt reine Materialien. Das können Naturfasern sein, zum Beispiel Bio-Baumwolle oder Leinen, oder recycelte Stoffe aus Plastikflaschen oder wiederverwerteter Wolle. In beiden Fällen achten wir auf Zertifikate wie GOTS und GRS, die sowohl hohe ökologische als auch soziale Standards garantieren. Darüber hinaus fragen wir bei allen Lieferant*innen genau nach: Wo kommt die Rohware her? Unter welchen Bedingungen wird produziert? Und werden garantiert keine Schadstoffe eingesetzt? 

Momentan optimieren wir unsere Kollektion mit Blick auf die kleinen Details: Wir wollen absolut transparent sein und zu jedem Etikett, Knopf, Reißverschluss und Garn erzählen können, wo sie herkommen. Das ist aber leichter gesagt als getan, oftmals wissen Lieferant*innen selbst nicht, woher die Rohware kommt, die sie weiterverarbeiten.

Welches Material bzw. Komponente in euren Kollektionen stellt euch vor besondere Herausforderungen?

Definitiv die Imprägnierungen. Natürlich würden wir unsere neuen Ideen am liebsten immer sofort umsetzen, aber die Entwicklung neuer Beschichtungen erfordert häufig lange Testphasen. Gerade im Outdoor-Bereich ist aber Nachhaltigkeit besonders wichtig, denn hier kommen besonders viele umweltschädliche Stoffe zum Einsatz, um Kleidung wasserabweisend zu machen oder Mänteln den nötigen Stand zu geben um beispielsweise Manschetten formen zu können.

Oft ist es aber auch gar nicht ein bestimmtes Material, das besonders herausfordernd ist, sondern die Kombination: Am liebsten hätten wir natürlich alles regional, bio und gleichzeitig noch bezahlbar. Manchmal ist die schwierigste Entscheidung, hier einen geeigneten Kompromiss zu finden. Es hat ja beispielsweise niemand etwas davon, wenn wir belgisches Bio-Leinen in die Kollektion aufnehmen, das aber so teuer ist, dass sich die Mäntel letztlich nicht mehr verkaufen.

Du hast den Müll in der textilen Kette schon angesprochen. Wie verhindert ihr die klassische Überproduktion, die vor allem in der konventionellen Modeproduktion praktiziert wird und uns vor ökologische Probleme stellt?

Wir verkaufen hauptsächlich an Geschäfte, die in der Vorsaison ordern. Wir wissen also vorher schon, welche Mengen wir je Modell verkaufen werden und produzieren in Abhängigkeit der Vorbestellungen. Darüber hinaus kalkulieren wir für unseren eigenen Shop Produktionsmengen, die wir erfahrungsgemäß gut verkaufen. Das heißt natürlich, dass ein Modell, das besonders gut läuft, irgendwann tatsächlich ausverkauft ist, damit müssen wir und unsere Kund*innen leben. Gleichzeitig setzen wir auf zeitloses Design, das nicht an vorübergehende Modetrends gebunden ist. Was in diesem Jahr nicht verkauft wird, ist auch im nächsten Jahr noch zeitgemäß. Unsere Lieblingsmodelle bleiben häufig über mehrere Saisons hinweg in der Kollektion.

Hältst du ein ein Modell wie “Made-to-order”, das viele kleinere Labels ausprobieren, für tragfähig und zukunftssicher?

Jein. Made-to-order ist natürlich eine schöne Idee und funktioniert auch für einige Marken gut. Allerdings entstehen bei diesem Konzept hohe Produktionskosten weil immer nur sehr kleine Mengen produziert werden, dadurch muss auch die Kleidung teurer verkauft werden. Außerdem müssen sich Kund*innen auf längere Wartezeiten einstellen, das macht die schnelllebige Fast Fashion Branche dann vielleicht eher wieder attraktiver. Ich halte das Modell daher für wenig wettbewerbsfähig, in meinen Augen ist es eher geeignet für kleinere Labels, deren Kund*innen bereit sind, dafür mehr zu zahlen und länger als gewohnt auf ihre Bestellungen zu warten.

Die technische Entwicklung für Einzelproduktionen mit Hilfe von neuen Maschinen und Robotern ist allerdings schon so weit, dass das sehr bald auch zu erschwinglichen Preisen möglich sein wird. Ich gehe davon aus, dass man sich dann für wenig Geld maßgeschneiderte Produkte aus Ländern mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen importieren lassen kann. Von Nachhaltigkeit und Slow Fashion kann dabei aber sicher nicht die Rede sein.

Was steht in diesem Jahr im Fokus eurer Kollektionen?

Transparenz, gedeckte Farben und weite Schalkragen. In der aktuellen Sommerkollektion arbeiten wir vor allem mit einem durchsichtigen Material aus recycelten Plastikflaschen und einer Imprägnierung aus Getreideabfällen auf Leinen. Daraus machen wir großzügig geschnittene Jacken mit großen Schalkragenkapuzen, mit denen wir auch große Größen bedienen können. Dazwischen finden sich aber auch einige schmale Parkas und Trenchcoats. 

Farblich bewegen wir uns zwischen hellem Beige, dunklem Blacknavy, Flaschengrün und natürlichen Leinen- und Schlammtönen. Als Farbflecken haben wir aber auch ein Jeansblau und sonniges Gelb im Angebot. Zum Herbst wird es dann wieder erdiger, mit warmen Rot- und Brauntönen und großen Karomustern.

Neben der Klimakatastrophe stellt uns die Pandemie aktuell vor große Herausforderungen. Was hat sich in eurem Leben seit Anfang 2020 alles geändert?

So ziemlich alles. Bis vor einem Jahr haben wir ausschließlich an Geschäfte und auf Ausstellungen verkauft. Zu Pandemiebeginn haben wir quasi über Nacht unseren eigenen Webshop gelauncht, mit dem wir direkt verkaufen können. Aber das schafft natürlich nicht auf Knopfdruck einen vollen Ausgleich, die Geschäfte dürfen weiterhin nur sehr eingeschränkt öffnen und haben volle Warenlager, an Ausstellungen ist im Augenblick gar nicht zu denken. Zudem arbeiten wir im Team jetzt aus dem Homeoffice und nicht mehr gemeinsam im Atelier, das ist schade. 

Der Designprozess ist ohne internationale Messebesuche auch sehr anders. Ich vermisse die Pariser Stoffmesse, auf der ich neue Materialien entdecken, Stoffe anfassen und mich inspirieren lassen kann. Normalerweise verbinde ich solche Reisen auch immer mit einem Tag, an dem ich durch Paris schlendere, Geschäfte besuche und mir die Menschen angucke, um Trends festzustellen. Das fehlt. Klar, ich kann mir Stoffproben zuschicken lassen und Modemagazine mit Trendanalysen bestellen. Aber das ist natürlich nicht dasselbe.

Aber wir sehen auch die guten Seiten, zum Beispiel, dass Nachhaltigkeit in der Gesellschaft gerade durch die Pandemie immer mehr Gehör findet und die Menschen kritischer nachfragen.

Self-Care und Achtsamkeit werden in unseren aktuellen Zeiten immer wichtiger. Wie gelingt es dir, einmal abzuschalten und aus dem steten Kreislauf auszubrechen?

Zeit mit meiner Familie ist für mich ein wichtiger Ausgleich. Außerdem bin ich ein ziemlicher Outdoor-Mensch, Sport an der frischen Luft tut mir einfach gut. Eine meiner ersten Aktionen morgens und bei jedem Wetter ist eine Joggingrunde durch den nahegelegenen Park. Das ist ein toller Start in den Tag mit Bewegung, frischer Luft, Natur und Gelegenheit für frei fließende Gedanken. Da bleibe ich auch gerne mal stehen, um einen Reiher oder einen Specht zu beobachten.

Tagsüber baue ich immer wieder kleine Oasen ein, zum Beispiel eine Runde Tischtennis oder einen Powernap, den ich von meinen Eltern und Großeltern abgeguckt habe. Ich kann aber auch beim Lesen eines interessanten Buches oder beim Lernen einer neuen Sprache abschalten. Aber tatsächlich ist es für mich besonders entspannend, wenn ich mich ohne Ablenkung ganz der Entwicklung und dem Design widmen kann. Dann erstelle ich Moodboards, wähle Stoffe aus und entwerfe Zeichnungen und Schnitte für die nächste Saison. Die kreative Zeit ist für mich keine Arbeit, sondern einfach nur Sein.

Danke, Caroline, für das Interview.


© David Kavaler / RAFFAUF

Fotos der Kollektion: © David Kavaler / RAFFAUF

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