Die faire Modebranche durchläuft seit Corona und vor allem dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ein Tal. Die Nachfrage nach bio-fairer Kleidung ist gesunken, die Berichterstattung darüber zurückgegangen. Auch einige Labels haben die letzten Jahre nicht überstanden. Hohe Kosten für die Produktion der neuen Kollektionen, wenig Absatz im stationären Handel, die massive Konkurrenz aus der Ultra Fast Fashion – nur drei von vielen Gründen, die vielen Entscheider*innen Kopfzerbrechen bereiten. Natürlich gibt es auch positive Beispiele. Labels, die zeigen, dass soziale und ökologische Rahmenbedingungen für die Bekleidungsindustrie wichtig sind.
Heute möchte ich euch Räglan vorstellen. Mit Labelgründer Moritz Bormann habe ich über die Anfänge seiner Marke, sein Konzept und die nahe Zukunft gesprochen.
Was hat dich dazu inspiriert, Räglan zu gründen?
Ich bin schon immer gerne gereist und habe es geliebt, neue Orte und Kulturen zu entdecken. Dabei hat mich zunehmend fasziniert, was abseits der „schönen“ Orte, die man überall sieht, passiert – und auch, was an diesen schönen Orten schiefläuft.
Ich glaube auch, dass ich mich stets privilegiert gefühlt und darüber nachgedacht habe, wie ich etwas zurückgeben kann. Insbesondere, wenn ich anschließend wieder zurück nach Deutschland gekommen bin, ist mir der Gegensatz doch sehr deutlich geworden. In meinen Augen ist die Welt ziemlich unfair und oft entscheidet die Geburtslotterie darüber, welche Möglichkeiten wir im Leben haben.
Die Idee, etwas Eigenes zu gründen, war lange in meinem Kopf. Eines Tages kaufte ich mir in einem Surfshop ein T-Shirt mit einem coolen Artwork. Da kam mir der Gedanke: „Das könnte ich ja auch selbst machen.“ Kleidung erschien mir als gutes Medium, um meine Botschaft nach außen zu tragen. Sie ist ein beliebtes Werkzeug, um sich selbst auszudrücken und zu zeigen, wer wir sind und wofür wir stehen.
Räglan als Kanal, um aktiv zu werden
Zu dieser Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit meinem eigenen Konsumverhalten und dem Thema Nachhaltigkeit. Als ich mich weiter über die Textilbranche informierte, war ich entsetzt über die grausamen Zustände dort. Aus diesen verschiedenen Überlegungen entstand schließlich Räglan. Ich habe mir angeschaut, was in der Textilbranche falsch läuft, und versucht, diese Dinge anders zu machen. Allerdings gilt für mich immer: Wir können so grün produzieren, wie wir wollen – wenn wir unseren Konsum nicht einschränken, wird sich auf lange Sicht wenig ändern.
Gleichzeitig ist Räglan für mich ein Kanal, um aktiv zu werden, die Welt ein klein wenig besser zu machen und andere Menschen dazu zu inspirieren, dasselbe zu tun.
Kannst du mir mehr über deine Designprozesse erzählen? Wie wählst du die Künstler*innen für die Projekte aus?
Bisher gab es zwei Ansätze:
- Ich habe eine(n) Künstler:in entdeckt, die mir besonders gefiel, und konnte beim Betrachten ihrer Arbeiten sofort eine Verbindung zu einem Thema herstellen, das mir am Herzen liegt. In diesem Fall mache ich mir dann weitere Gedanken, recherchiere eventuell nach einem passenden Projekt und kontaktiere anschließend den/ die Künstler:in.
- Ich habe bereits ein Projekt oder ein Thema im Kopf, das ich unterstützen möchte. Meistens habe ich dann schon eine grobe Idee, in welche Richtung es gehen könnte. In diesem Fall beginne ich mit der Suche nach geeigneten Künstler:innen. Meine ersten Anlaufstellen sind Google und Instagram. Beim Durchstöbern verschiedener Kunstwerke formen sich neue Ideen oder bestehende Konzepte werden konkretisiert. Wenn ich von einer Idee überzeugt bin, kontaktiere ich den/die Künstler:in und präsentiere meine Gedanken. In der Regel entwickelt sich das Projekt dann weiter, wobei die Künstler:innen ihre eigenen Ideen und Vorstellungen einbringen.
Der Gedanke hinter der Kunst:
„ART IS NOT SUPPOSED TO CHANGE THE WORLD, TO CHANGE PRACTICAL THINGS, BUT TO CHANGE PERCEPTIONS. ART CAN CHANGE THE WAY WE SEE THE WORLD.“
Genau so sehe ich das. Kunst bietet uns einen Zugang zu Themen, mit denen wir uns sonst vielleicht weniger auseinandersetzen würden. Gleichzeitig soll sie dafür sorgen, dass das Kleidungsstück cool aussieht und man Lust hat, es zu tragen. Durch den aufwendigen Designprozess steckt hinter jedem Print eine Bedeutung und eine Geschichte. Dies emotionalisiert das Kleidungsstück und führt (hoffentlich) dazu, dass man es mehr wertschätzt und anders damit umgeht als mit einem 0815-T-Shirt mit einem austauschbaren Print.
Wichtig ist, dass die Künstler*innen die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Schließlich ist ihr Artwork sicherlich einer der Hauptgründe, warum sich jemand für den Kauf des Kleidungsstücks entscheidet.
Wie wählst du die sozialen Projekte und Organisationen aus, die du unterstützt?
Am wichtigsten ist es, dass die sozialen Projekte und Organisationen daran arbeiten, die Situation langfristig zu verbessern und den Menschen helfen, sich in Zukunft selbstständig aus ihren Situationen zu befreien und für sich selbst zu sorgen. Schnelle Hilfe ist zwar ebenfalls wichtig, führt jedoch nicht dazu, dass sich langfristig etwas an der Situation verändert. Gleichzeitig sollte die Organisation nicht zu groß sein, damit der Großteil der Spenden nicht in Administrationsgebühren verschwindet, sondern wirklich den Projekten vor Ort zugutekommt.
Unterstützung sozialer Projekte
Ansonsten gab es bisher verschiedene Beweggründe für die Auswahl der Projekte. Das erste Projekt, „Authentic Self“, ist Teil meiner eigenen Reise, und Räglan ist irgendwo auch ein Produkt dieser Reise. Daher war es sehr passend, mein erstes Projekt dem Thema „mentale Gesundheit“ zu widmen. Die Mental Health Initiative leistet hervorragende Arbeit und versucht, mit ihren Programmen Kinder und Jugendliche bereits in der Schulzeit für das Thema zu sensibilisieren.
Bei Conscious Impact in Nepal habe ich selbst als Freiwilliger gearbeitet, lange bevor ich die Idee zu Räglan hatte. Daher war es naheliegend, ihnen ein Projekt zu widmen.
Die beiden Projekte in Südafrika sind aus der Zusammenarbeit mit Luke entstanden. Ich hatte mich bei ihm tätowieren lassen, fand seine Kunst super cool und habe dann nach Projekten gesucht, die thematisch dazu passen könnten. Da er selbst in Südafrika lebt, machte es für mich nur Sinn, ebenfalls ein Projekt vor Ort zu unterstützen.
Wie reagieren deine Kunden auf diese Verbindung von Mode und sozialem Engagement? Welches Feedback erhältst du von ihnen?
Sobald die Kunden das Konzept einmal verstanden haben, erhalte ich durchgehend positives Feedback und die Idee stößt auf großen Anklang. Allerdings ist es auch die größte Herausforderung, dass Räglan wirklich wahrgenommen wird. Unsere Welt ist unglaublich schnelllebig und es gibt unzählige Fashion-Anbieter. Oft wird einfach nur schnell durchgescrollt, und wenn etwas nicht innerhalb der ersten Sekunden auffällt, schaut man woanders weiter.
Slow Fashion bedeutet für mich jedoch auch, sich die Zeit zu nehmen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was man eigentlich kaufen möchte.
Schwierig wird es natürlich immer mit den Designs. Es gibt kein Design, das jedem gefällt – vermutlich wäre das auch ziemlich langweilig. Bisher hat aber jedem zumindest eines der Designs gefallen.
Ein weiteres Feedback, das manche Menschen vom Kauf abhält, ist, dass man bei einigen Themen – z.B. der Kollektion „Faces“ oder „Authentic Self“ – sehr deutlich für etwas einsteht. Das war schon das ein oder andere Mal ein Grund, dass sich jemand gegen den Kauf entschieden hat.
Eine Alternative zur herkömmlichen Textilindustrie
Die Menschen, die etwas gekauft haben, sind glücklicherweise sehr zufrieden mit ihren Kleidungsstücken und auch mit der Qualität. Das freut mich natürlich besonders, da das beste Konzept nichts bringt, wenn die Qualität nicht stimmt.
In welche Richtung soll sich Räglan in den nächsten Jahren entwickeln? Welche Botschaft ist dir besonders wichtig?
Räglan sollte nie nur eine Kleidungsmarke sein. Die Kleidung dient dazu, eine Alternative zur herkömmlichen Textilindustrie anzubieten und als Medium die Botschaft von Räglan und den dahinterstehenden Projekten nach außen zu tragen. Ich möchte Menschen dazu inspirieren, ihren Konsum zu überdenken und etwas zurückzugeben.
In Zukunft möchte ich viel mehr Projekte wie das aktuelle Obdachlosenprojekt durchführen. Hier habe ich obdachlose Menschen interviewt, um ihnen eine Plattform zu bieten, ihre Geschichten und alles, was sie teilen möchten, zu erzählen. Die Geschichten gibt es als Podcast „Faces by Räglan“ zu hören. Dazu gibt es dann eine Kollektion, welche die Menschen hinter den Geschichten zeigt.
Ziel: Mehr Empathie schaffen
Das bringt mich zu meinem nächsten Punkt: Mehr Empathie zu schaffen. Ich glaube, Empathie ist der erste Baustein zur Lösung für alle größeren Probleme. Wenn wir Empathie gegenüber unserem Planeten und anderen Menschen entwickeln, können wir Themen wie Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit ganz anders angehen. Leider wird die Welt jedoch immer egoistischer.
Es ist mir wichtig, den Menschen klarzumachen, welche Macht sie haben und wie viel Einfluss sie auf unsere Welt nehmen können. Wir beschweren uns oft über schlimme Unternehmen, konsumieren aber weiter ihre Waren. So wird sich leider nie etwas ändern. Wenn wir alle aufhören würden, bei z.B. H&M zu kaufen, müssten diese etwas verändern, sonst gäbe es die Marke nicht weiter.
Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen und verstehen, dass wir mit jeder unserer Kaufentscheidungen Einfluss auf die Macht und Reichweite eines Unternehmens nehmen. Wir können viel mehr Einfluss auf die Welt nehmen, als wir glauben.
Voraussetzung dafür: Wir müssen insgesamt weniger konsumieren, und der durch den Konsum erbrachte Wert muss für vernünftige Projekte eingesetzt werden, die der Gesellschaft zugutekommen. Gleichzeitig muss nachhaltiger Konsum für alle zugänglich sein. Aus diesem Grunde gibt es beispielsweise mein Programm „Fair“.
Die größte Herausforderung bei alldem: Die Balance zwischen Verkauf und Konsumreduzierung zu finden. Wir leben in einem kapitalistischen System, daher gilt auch für Räglan und andere Unternehmen: Um bestehen zu können, müssen wir mehr einnehmen als ausgeben. Das bedeutet gleichzeitig, dass Räglan kostendeckend arbeiten oder Gewinne erwirtschaften muss. Gelingt dies, ist das ein Vertrauensbeweis von unseren euch, mit dem ich so verantwortungsvoll wie möglich versuche umzugehen.
Danke dir, Moritz, für deine Zeit!